Nicht übertragbare Krankheiten verursachen 72% der gesamten Gesundheitskosten
Nicht übertragbare Krankheiten (NCD) wie neurologische Erkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder psychische Krankheiten verursachen in der Schweiz den Grossteil der Gesundheitskosten. NCD belasten nicht nur das Gesundheitssystem, sondern auch die Wirtschaft und die Lebensqualität der Betroffenen. Eine vom BAG in Auftrag gegebene Studie zeigt das aktuelle Ausmass. Petra Baeriswyl, Leiterin Abteilung Prävention nichtübertragbarer Krankheiten, gibt Einblick in die Erkenntnisse der Studie.
Nicht übertragbare Krankheiten (NCD) sind die Hauptverursacher der Gesundheitskosten. Was heisst das konkret?
Petra Baeriswyl: Nicht ansteckende oder nicht übertragbare Krankheiten wie Krebs oder Herz-Kreislauf-Krankheiten verursachen viel Leid und gehören zu den häufigsten Todesursachen in der Schweiz. Diese nicht übertragbaren Krankheiten (NCD) verursachen auch die höchsten Kosten im Gesundheitssystem: 72% der gesamten Gesundheitskosten. Dabei machen die somatischen Krankheiten – also solche mit körperlichen Ursachen – den grössten Anteil aus, nämlich rund 90%. Der Anteil der psychischen Erkrankungen beträgt 10%.
Wir lesen oft, dass die Gesundheitskosten gestiegen sind. Um wieviel sind sie bei den NCD gestiegen?
Zwischen 2012 und 2022 sind diese direkten medizinischen Kosten für NCDs um 31% angestiegen – von 50 Milliarden auf 65.7 Milliarden Schweizer Franken.
Worauf lässt sich der Anstieg zurückführen?
Hauptsächlich auf die höheren Behandlungskosten pro Krankheitsfall. Der Anstieg der direkten medizinischen Kosten lässt sich fast zur Hälfte damit erklären. Weitere Treiber sind das Bevölkerungswachstum und die Alterung der Bevölkerung.
Welche Krankheiten kommen uns besonders teuer zu stehen?
Mit Kosten von fast 10 Milliarden Franken jährlich sind die neurologischen Krankheiten die Teuersten. Sie machen 11% der gesamten Gesundheitskosten aus. Ins Gewicht fallen hier vor allem Demenzerkrankungen. Knapp dahinter folgen die kardiovaskulären Krankheiten, dazu zählt beispielsweise Bluthochdruck. Sie verursachen Kosten von 9.5 Milliarden Franken, gleichviel wie psychische Erkrankungen (z.B. Depressionen). Auch die Krankheiten des Bewegungsapparates (z.B. Rückenschmerzen) verursachen über 9 Milliarden Franken Kosten pro Jahr, die Krebserkrankungen 6.5 Milliarden Franken.
Die Studie hat auch die Produktionsverluste untersucht. Was heisst das?
Nicht übertragbare Krankheiten belasten nicht nur das Gesundheitssystem, sondern auch die Wirtschaft. Wenn Mitarbeitende eines Unternehmens krankheitsbedingt ausfallen, können sie ihre Aufgaben nicht erfüllen. Das führt zu Einbussen in der Produktion. Solche Produktionsausfälle durch Krankheiten schwächen die gesamte Volkswirtschaft.
In welchem Ausmass?
Nicht übertragbare Krankheiten haben im Jahr 2022 knapp 43 Milliarden Franken Produktionsverluste verursacht. Das entspricht einem Zuwachs von 13% in den vergangenen 10 Jahren. Diese Verluste entstehen zu einem grossen Teil aufgrund von muskuloskelettalen und psychischen Krankheiten. Sie schlagen mit jeweils rund 12 Milliarden Franken zu Buche. Im Jahr 2022 beliefen sich die Gesamtkosten aller NCDs – also Gesundheitskosten und Produktionsverluste zusammengezählt – auf rund 109 Milliarden Schweizer Franken. Dies entspricht etwa 14% des Bruttoinlandprodukts.
Die Menschen werden immer älter und deshalb steigen ja auch die Kosten. Kann man diesen Anstieg überhaupt bremsen?
Die alternde Bevölkerung und der damit verbundene Anstieg chronischer Erkrankungen ist mit ein Grund, dass die Kosten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung gestiegen sind. Auch der medizinisch-technologische Fortschritt mit immer mehr Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten erhöht die Kosten. Ohne die in den letzten Jahren beschlossenen Massnahmen von Bundesrat und Parlament wäre das Kostenwachstum noch höher ausgefallen – die Kostendämpfung bleibt eine Daueraufgabe.
Altersbedingte Erkrankungen wie Demenz, Alzheimer, Diabetes oder Osteoporose sind besonders kostenintensiv. Viele von ihnen lassen sich aber durch einen gesunden Lebensstil verzögern oder teilweise sogar verhindern. Prävention kann dazu beitragen, die Kosten zu senken und das Gesundheitssystem zu entlasten.
Konkret heisst das?
Wir leben in einem Land mit einer sehr hohen Lebensqualität. Dies hat wesentlich mit unserer sehr gut funktionierenden Gesundheitsversorgung zu tun. Dennoch leiden 2,2 Millionen Menschen in der Schweiz an chronischen Krankheiten. Es besteht noch ein grosses Potential, die Krankheitslast der NCD durch ein gesundheitsbewussteres Verhalten zu reduzieren. Es ist bekannt, was gut ist für die Gesundheit: nicht rauchen, genügend Bewegung und eine ausgewogene Ernährung, möglichst wenig Alkohol trinken und auf die psychische Gesundheit achten.
Gegenstand der Studie waren auch die Folgekosten zweier bedeutsamer Risikofaktoren. Was ist dabei herausgekommen?
Die Risikofaktoren Bewegungsmangel sowie Übergewicht/Adipositas haben einen Einfluss auf fast alle NCD. Auch hier entstehen Kosten in Milliardenhöhe. Konkret belaufen sich die Gesundheitskosten dafür auf 5.4 Milliarden Franken. Demenz, Depression und Osteoporose machten den grössten Anteil an den Gesundheitskosten aufgrund von Bewegungsmangel aus. Bei Übergewicht und Adipositas sind die teuersten Folgekrankheiten Diabetes Typ 2, Hypertonie und Arthrose.
Bewegungsmangel und Übergewicht/Adipositas sind ja nicht die einzigen Risikofaktoren, die ins Gewicht fallen.
Nein. Bedeutende Risikofaktoren sind auch Tabak- und Nikotinkonsum, Alkoholkonsum und eine unausgewogene Ernährung. Die Kosten dieser Risikofaktoren sind aber nicht Gegenstand der aktuellen Studie. Diese wurden in früheren Studien berechnet.
Mit Gesundheitsförderung und Prävention können Krankheiten vermieden oder verzögert werden. Wo engagiert sich das BAG?
Unsere Präventionsschwerpunkte setzen wir in den Bereichen mit hoher Krankheitslast. So konzentriert sich die Nationale Strategie Prävention nicht übertragbarer Krankheiten 2017–2028 (NCD-Strategie) aktuell auf die Themen Tabak und Nikotin, psychische Gesundheit sowie Übergewicht und Adipositas – dies sind drei Schwerpunkte mit grossem Handlungsbedarf.
Wird das BAG nun wieder vermehrt sensibilisieren?
Sensibilisieren allein reicht ja nicht aus. Prävention wirkt besser im Zusammenspiel von individuellen und strukturellen Massnahmen. Zum einen müssen wir die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung fördern. Gesundheitskompetenz ist die Fähigkeit einer Person, im täglichen Leben Entscheidungen zu treffen, die sich positiv auf die Gesundheit auswirken. Aber auch die Rahmenbedingungen sind sehr entscheidend – wie beispielsweise ein Werbeverbot für Tabakprodukte, Rauchverbote in öffentlichen Räumen oder gut ausgebauten Fahrradwege. Wir wissen, dass Gesundheitsförderung und Prävention von nicht übertragbaren Krankheiten ein grosses Potenzial haben: Damit können wir Krankheiten bis zur Hälfte vermindern oder verzögern.
Prävention und Gesundheitsförderung sind aber nicht die einzige Antwort auf die steigenden Kosten?
Es braucht Engagement auf mehreren Ebenen. Neben Gesundheitsförderung und Prävention setzen sich EDI und das BAG seit Jahren im Bereich der Krankenversicherung für die Kostendämpfung im Gesundheitswesen ein, zum Beispiel durch die Überprüfung von vergüteten oder Prüfung von neuen Leistungen auf die Erfüllung der gesetzlichen Kriterien, das Health Technology Assessment- Programm (HTA-Programm) oder die Kostendämpfungspakete.
Was bedeuten die Studienresultate für die Zukunft der NCD-Prävention?
Die Studie bestärkt das BAG darin, dass der heutige Fokus in der Prävention und Gesundheitsförderung richtig ist. Die Ergebnisse der Kostenstudie liefern zudem wichtige Hinweise für die Prioritätensetzung der Nachfolgestrategie ab 2029, damit wir das Potential für Gesundheitsförderung und Prävention noch besser ausschöpfen können.
Psychische Gesundheit
Nichtübertragbare Krankheiten (NCD)
Über den Autor
Bundesamt für Gesundheit BAG
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