«Den gesundheitlichen Folgen des Klimawandels müssen wir mit einem umfassenden Gesundheitsschutz begegnen»
Der Klimawandel beeinflusst unsere Gesundheit. Bei Hitzewellen spüren wir dies unmittelbar. Der Klimawandel verändert aber auch unsere Lebensgrundlagen – was die Gesundheit weiter beeinflusst. Martina Ragettli vom Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut forscht zu diesen Auswirkungen. Im Interview spricht sie über Anpassungsmöglichkeiten an die zunehmende Hitzebelastung, über besonders gfährdete Gruppen in der Bevölkerung und über ihre Forschung.

Artikeldetails
Wie beeinflusst der Klimawandel die öffentliche Gesundheit in der Schweiz?
Wir unterscheiden zwischen direkten und indirekten Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit. Zu den direkten Auswirkungen gehören die Folgen von Hitzeperioden und anderen extremen Wetterereignissen wie Überschwemmungen oder Erdrutsche. Diese können die Gesundheit unmittelbar beeinträchtigen – etwa durch Verletzungen, durch Verschlechterung des Wohlbefindens, vermehrte Spitalaufenthalte oder durch vorzeitige Todesfälle. Besonders die zunehmende Hitzebelastung stellt in der Schweiz eines der grössten klimabedingten Gesundheitsrisiken dar. Hohe Temperaturen verschärfen chronische Erkrankungen wie beispielsweise Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen. Sie beeinträchtigen die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit und erhöhen das Risiko für Komplikationen wie Frühgeburten oder hitzebedingte Todesfälle.
Und was sind indirekte Folgen für die Gesundheit?
Die indirekten Auswirkungen des Klimawandels auf unsere Gesundheit entstehen durch Veränderungen der Ökosysteme und unserer Lebensgrundlagen. Ein Beispiel ist die Luftqualität: Bei Hitze steigen die Ozonwerte in Bodennähe, was die Atemwege belastet. Auch die Pollensaison beginnt früher, dauert länger und ist intensiver – das betrifft besonders Allergikerinnen und Allergiker.
Ein weiteres wichtiges Thema ist die Ausbreitung krankheitsübertragender Organismen wie Zecken und Mücken. Durch das mildere Klima sind Zecken länger im Jahr aktiv und breiten sich in höhere Lagen aus. Zecken sind insbesondere für die Verbreitung von Borreliose und FSME verantwortlich. Vektorübertragene Krankheiten, die bisher vor allem in den Tropen vorkommen, werden vermehrt auch bei uns ein Thema. Die Asiatische Tigermücke zum Beispiel wird sich durch mildere Winter weiter ausbreiten können. Sie kann Krankheiten wie Dengue- oder Chikungunyafieber übertragen.
Nicht zuletzt hat der Klimawandel auch globale Folgen, die uns in der Schweiz indirekt betreffen: Zum Beispiel durch unterbrochene Lieferketten für Nahrungsmittel oder Medikamente, oder durch Migration infolge sozioökonomischer Störungen, Krisen und Konflikte – was auch Auswirkungen auf psychische Gesundheit haben kann.
Die Folgen, die wir am unmittelbarsten spüren, sind Hitzewellen. Welche Bevölkerungsgruppen sind da besonders betroffen?
Die grösste Risikogruppe in der Schweiz sind ältere Menschen ab 75 Jahren. Zu den Risikogruppen gehören aber auch pflegebedürftige Menschen, Personen mit chronischen Krankheiten, Schwangere, kleine Kinder sowie Leute, die draussen arbeiten und so der Hitze stark ausgesetzt sind.
Die Klimaseniorinnen haben am europäischen Gerichtshof geklagt, u.a. weil sie selbst vom Klimawandel stark betroffen sind. Warum sind gerade ältere Frauen so stark vom Klimawandel betroffen?
Das Monitoring der hitzebedingten Todesfälle in der Schweiz zeigt, dass es bei Frauen mehr hitzebedingte Todesfälle als bei Männern gibt. Die genauen Gründe dafür sind noch nicht vollständig geklärt. Es mag daran liegen, dass Frauen generell älter werden als Männer. Mit dem Alter steigt die Empfindlichkeit gegenüber Hitze. Es können auch physiologische Gründe eine Rolle spielen: Frauen schwitzen tendenziell weniger als Männer und können sich dadurch schlechter an hohe Temperaturen anpassen. Zudem wird vermutet, dass Frauen in der Menopause gegenüber Hitze noch empfindlicher werden. Auch sozio-kulturelle Aspekte könnten mitwirken – etwa, dass Frauen während Hitzewellen aktiver sind, öfter draussen unterwegs sind, zum Beispiel beim Einkaufen, oder auch im höheren Alter mehr Care-Arbeit leisten. Das kann die Belastung bei Hitze zusätzlich erhöhen.
Sie untersuchen die hitzebedingte Sterblichkeit in der Schweiz. Was ist die wichtigste Erkenntniss?
Eine wichtige Erkenntnis ist: Hitze beeinträchtigt die Gesundheit in der Schweiz deutlich – sie führt zu Todesfällen, Notfallspitaleintritten und beeinträchtigt die Leistungsfähigkeit. Derzeit werden jedes Jahr mehrere 100 Todesfälle auf die Hitze zurückgeführt. Damit ist Hitze die Naturgefahren mit den meisten Todesopfern in der Schweiz. Weil die Folgen oft nicht unmittelbar sichtbar sind, wird Hitze auch als «stille Killer» bezeichnet.
Eine weitere wichtige Beobachtung ist, dass sich die Gesellschaft ein Stückweit an die zunehmende Hitzebelastung angepasst hat – auch dank verschiedener Anpassungsmassnahmen. Allerdings sehen wir diese Anpassung eher bei moderat heissen Tagen - etwa an Sommertagen von 29°C. Bei Hitzewellen ist das Risiko für hitzebedingte Todesfälle weiterhin hoch.
Wie kann man sich vor Hitze schützen?
Mit einfachen Verhaltensanpassungen lassen sich die gesundhetlichen Auswirkungen von Hitze relativ gut vermeiden. Das Bundesamt für Gesundheit hat für Hitzetage drei goeldene Regeln herausgegeben:
- Körperliche Anstrengungen meiden: Gehen Sie insbesondere die heisseste Tageszeit ruhig an und bleiben Sie im Schatten.
- Hitze fernhalten,Körper kühlen: Schliessen Sie tagsüber die Fenster und halten Sie die Sonne fern, lüften Sie nachts und früh morgens. Kühlen Sie Ihren Körper, indem Sie z. B. kühl duschen, kalte Tücher auf die Stirn und Nacken auflegen. Tagen Sie zudem luftige Kleidung
- Viel trinken, leicht essen und Medikamente anpassen: Trinken Sie regelmässig und vermeiden Sie fettreiche und schwerverdauliche Nahrung. Klären Sie die Dosierung Ihrer Medikamente mit einer Fachperson ab Einige Medikamente können die Hitzeanpassung beeinflussen.
Wie kann man andere bei Hitze unterstützen?
Um andere bei Hitze zu unterstützen, ist es wichtig, besonders Risikogruppen wie ältere Menschen verstärkt Aufmerksamkeit zu schenken – sei es in der Familie, Nachbarschaft oder im Freundeskreis. Das kann helfen, Verhaltensempfehlungen umzusetzen oder den Alltag zu erleichtern, zum Beispiel indem man Einkäufe übernimmt.
Wenn es in der Wohnung oder im Haus zu warm wird, kann man gemeinsam mit betroffenen Personen für Erholung von der Hitze sorgen – etwa in klimatisierten Bibliotheken oder Einkaufszentren.
Unsere Befragung bei Menschen ab 50 Jahren in der Schweiz zeigt zudem, dass ältere Personen vor allem innerhalb der Familie und im Bekanntenkreis Informationen zum gesundheitlichen Hitzeschutz erhalten. Das macht die persönliche Unterstützung besonders wertvoll.
Was machen Städte und Kantone, um die Bevölkerung vor Hitze zu schützen?
Dazu haben wir für das BAG kürzlich einen Bericht publiziert. Im Jahr 2024 haben wir haben die Gesundheitsdepartamente der Kantone und von ausgewählten Städten befragt, welche Massnahmen sie bereits umsetzen. Einige Kantone – insbesondere in der Westschweiz und das im Tessin – haben sogenannte Hitzeaktionspläne eingeführt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt die Einführung von Hitzeaktionsplänen, da diese als ein wirksames Instrument zum Schutz der Bevölkerung vor Hitze gelten und die Koordination von kurz-, mittel- und langfristigen Massnahmen verschiedener Akteure ermöglichen. In der Schweiz werden die Hitzeaktionspläne meist vom Kantonsarztamt koordiniert. Das Gesundheitsdepartement koordiniert die Aktivitäten von verschiedenen Partnern, zum Beispiel von Spitälern oder Altersheimen oder dem Erziehungsdepartement. Es wird genau festgelegt, wer was wann unternimmt – sei es während dem Sommer oder während einer Hitzewelle.
Gleichen sich diese Aktionpläne?
Es gibt durchaus Unterschiede. Die WHO empfiehlt, dass Hitzeaktionspläne acht Kernelemente enthalten. In der Umsetzung variieren die Pläne jedoch. Die Kantone Genf und Waadt haben sehr früh nach dem Hitzesommer 2003 Hitzeaktionspläne eingeführt und seither viel Erfahrung damit gesammelt. Die Massnahmen werden von einer Vielzahl von Partner koordiniert, etwa aus dem Gesundheits- und Sozialbereich. Auch sind die Pläne in regionale Anpassungsstategien eingebettet. In der Deutschschweiz wurden erst seit kuzen vereinzelt solche Pläne eingeführt, zum Beispiel in Basel-Stadt oder in St. Gallen. In anderen Kantonen engagieren sich die Gesundheitsdepartemente derzeit kaum im gesundheitlichen Hitzeschutz oder setzen nur einzelne Massnahmen um – etwa durch Informationen auf der Website. Oft fehlen die finanziellen Mittel oder das Thema wird (noch) nicht als politische Priorität wahrgenommen.
Welche Massnahmen zum Schutz vor Hitze sind besonders erfolgreich?
Das können wir nicht abschliessend sagen. Es braucht Massnahmen auf verschiedenen Ebenen: Einerseits müssen Bevölkerung und Gesundheitsfachkräfte informieren werden,
damit sie die Risiken von Hitze kennen und sich entsprechend verhalten können. Es braucht aber auch spezielle Massnahmen für eine akute Hitzewelle. Dazu gehören Hitzefrühwarnsysteme und der Schutz von besonders vulnerablen Personen, etwa indem man die Arbeitszeiten bestimmter Berufsgruppen anpasst oder älteren Menschen mehr Aufmerksamkeit schenkt. Langfristig wirken Bemühungen in der Städteplanung und an Gebäuden, wie zum Beispiel die Schaffung von Grünflächen.
Um die Folgen des Klimawandels auf die Gesundheit abzumildern ist interdisziplinäre Zusammenarbeit enorm wichtig. Können Sie das erläutern?
Im Umgang mit hohen Temperaturen und zum Schutz der Gesundheit braucht es nicht nur Lösungsansätze im Gesundheitssektor, sondern auch in der Gestaltung unserer Städte, Gebäude sowie im Lern- und Arbeitsalltag. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit ist daher wichtig – für einen wirksamen Hitzeschutz müssen verschiedene Akteure zusammenarbeiten.
Wichtig im Umgang mit dem Klimawandel ist der Grundsatz «health in all policies», also die Berücksichtigung von gesundheitlichen Aspekten bei allen politischen Entscheidungen. Denn viele Akteure tragen zur Gesundheitsförderung bei. Auch Entscheidungen in Bereichen wie Raumplanung, Archidektur oder Arbeitswelt – zum Beispiel wie ein Gebäude gestaltet wird – haben Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit. Grünflächen und Bäume senken nicht nur die Hitzebelastung, sie verbessern auch die Luftqualität und schaffen Orte für soziale Begegnungen – das stärkt auch die psychische Gesundheit. Deshalb braucht es einen Health-in-all-Policies-Ansatz.
Gibt es in der Schweiz Handlungsbedarf?
Das Bundesamt für Umwelt hat kürzlich eine Risikoanalyse veröffentlicht. Dort wurde die zunehmende Hitzebelastung als eines der grössten Risiken für die Schweiz definiert, bei dem hoher Handlungsbedarf besteht, um die Gesellschaft zu schützen. Auch die von uns befragten kantonalen Gesundheitsdepartemente erkennen betreffend Hitzeschutz einen Handlungsbedarf. Viele Kantone wünschen Unterstützung beim Monitoring der Auswirkungen sowie bei der Umsetzung von Massnahmen. Zudem besteht Bedarf an einem stärkeren interkantonalen Austausch und Koordination, um vorhandene Ressourcen effizienter zu nutzen.
Braucht es auch neue Massnahmen?
Bisher wurden vor allem Massnahmen für die grösste Risikogruppe umgesetzt, das heisst für ältere Menschen. Handlungsbedarf besteht beispielsweise in den Schulen: In vielen Schulhäusern und Schulzimmern ist es zu heiss, was die Konzentration und Leistungsfähigkeit von Lehrpersonen und Kindern beeinträchtigt. Auch für Meschen mit bestimmten Krankheiten, etwa psychischen Krankheiten, sowie für Personen, die draussen arbeiten, braucht es gezielte Massnahmen.
Darüber hinaus gibt es noch viele offene Fragen im Bereich der Primary Care: Welche Rolle Hausärztinnen und Hausärzte sowie andere Akteure der Grundversorgung im Hitzeschutz übernehmen können und sollen, ist vielerorts noch unklar und wird bislang zu wenig systematisch angegangen.
Was möchten Sie Fachpersonen, die in der Gesundheitsförderung arbeiten, mitgeben?
Ich möchte dazu ermutigen, nicht in Sektoren oder Silos zu denken, sondern multidisziplinär und transdisziplinär zu arbeiten. Die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels – wie etwa zunehmende Hitzebelastung – lassen sich nicht allein im Gesundheitssektor lösen. Es braucht auch den Städtebau, die Energie- und Verkehrsplanung, die Bildung – also einen klaren Health-in-All-Policies-Ansatz. Viele Massnahmen wirken mehrfach positiv: Mehr Grünflächen schützen vor Hitze, fördern aber auch Erholung, Bewegung, Begegnung und die psychische Gesundheit. Wichtig finde ich auch, dass Risikogruppen aktiv in die Entwicklung von Massnahmen einbezogen werden. So werden Lösungen nicht nur wirksamer, sondern auch besser akzeptiert.
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