Künstliche Intelligenz trifft Gesundheitskompetenz: ein Segen oder eine Gefahr?

Im Jahr 2020 haben nur 28 Prozent der Schweizer Bevölkerung von einer ausreichenden digitalen Gesundheitskompetenz berichtet. Kann künstliche Intelligenz (KI) hier Abhilfe schaffen und die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung stärken? Oder vermindert KI gar die gesundheitliche Chancengleichheit? Saskia De Gani, Leiterin des Zentrums für Gesundheitskompetenz der Careum Stiftung, teilt im Interview ihre Gedanken dazu.

De Gani Saskia
Saskia De Gani leitet die aktuelle Schweizer Gesundheitskompetenz-Studie und engagiert sich aktiv in nationalen und internationalen Netzwerken, welche Gesundheitskompetenz fördern.

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Sie forschen zu digitaler Gesundheitskompetenz. Was genau verstehen Sie darunter?

Saskia De Gani: Digitale Gesundheitskompetenz beschreibt etwas vereinfacht gesagt die Fähigkeit, Gesundheitsinformationen aus digitalen Quellen oder auf digitalen Plattformen zu finden, sie zu verstehen, kritisch zu beurteilen und für Entscheidungen im Zusammenhang mit der eigenen Gesundheit oder derjenigen des Umfelds nutzen zu können. Diese Informationen können unterschiedliche Formate betreffen (z.B. Texte, Videos) und auch Interaktionen beinhalten (z.B. über Chatbots).

Wie steht es um die digitale Gesundheitskompetenz in der Schweiz?

Für das Bundesamt für Gesundheit – und als Teil einer internationalen Studie – haben wir im Jahr 2020 die Gesundheitskompetenz der erwachsenen Bevölkerung in der Schweiz erhoben. Knapp drei Viertel der Schweizerinnen und Schweizer berichteten dabei von häufigen Schwierigkeiten im Umgang mit digitalen Gesundheitsinformationen und -angeboten, d.h. sie hatten eine geringe Gesundheitskompetenz. Konkret waren es 72 Prozent der Bevölkerung, die von häufig Schwierigkeiten im Umgang mit digitalen Gesundheitsinformationen berichteten.

Ist die digitale Gesundheitskompetenz vergleichbar mit der Gesundheitskompetenz generell?

Gemäss dieser Studie fällt die allgemeine Gesundheitskompetenz etwas höher aus als die digitale, d.h. der Umgang mit digitalen Gesundheitsinformationen scheint noch schwerer zu fallen als der Umgang mit anderen Gesundheitsinformationen. Insgesamt berichtet knapp die Hälfte der Bevölkerung von einer geringen generellen Gesundheitskompetenz. Wir sehen aber beispielsweise, dass bei rund einem Drittel die digitale und die generelle Gesundheitskompetenz vergleichbar ausgeprägt sind.

Nun liegt diese Studie bereits fünf Jahre zurück. Denken Sie, dass sich die digitale Gesundheitskompetenz verändert hat?

Das ist eine gute Frage – wir werden sie noch dieses Jahr untersuchen. Es wird spannend sein zu schauen, ob und wie sich die digitale Gesundheitskompetenz der Bevölkerung verändert hat. Sie könnte sich verbessert haben, weil man vielleicht aufgrund der Studie vor fünf Jahren gezielte Verbesserungsmassnahmen getroffen hat. Vielleicht setzt man sich seit 2020 auch häufiger mit digitalen Gesundheitsinformationen auseinander, ist versierter, hat mehr Unterstützung, z.B. auch durch KI und Chatbots. Gleichzeitig kann es aber auch sein, dass die Verunsicherung gewachsen ist: Es gibt eine grössere Verfügbarkeit von Informationen unterschiedlicher Qualität und über noch mehr Kanäle verteilt. Das kann die Schwierigkeiten auch verstärkt haben.

Wie wird digitale Gesundheitskompetenz gefördert?

Bei Careum arbeiten wir beispielsweise an einer internationalen Initiative, welche die Qualität von digitalen Gesundheitsinformationen erhöhen und so zur Stärkung der digitalen Gesundheitskompetenz beitragen möchte. Diese Initiative fördert dabei die digitale Gesundheitskompetenz nicht direkt auf der Bevölkerungsebene, sondern auf der Systemebene. Konkret entwickeln wir einen Zertifizierungsprozess, um Anbietende von Gesundheitsinformationen zu zertifizieren, damit diese Zertifikate dann von grossen Online-Plattformen für ihre Algorithmen genutzt werden. So soll uns Bürgerinnen und Bürgern bei der Suche nach Gesundheitsinformationen der Zugang zu qualitativ hochstehenden und vertrauenswürdigen Informationen erleichtert werden.

Ein anderer Versuch, die digitale Gesundheitskompetenz zu stärken, ist die Entwicklung und Verbreitung von Checklisten für Bürgerinnen und Bürger. Da stellt sich aber die Frage: Wie realistisch ist es im Alltag, dass solche Checklisten bei der Informationssuch auch tatsächlich zur Hand genommen werden? Es gibt allerdings ein paar einfache Tipps: Vertrauenswürdige Internetseiten als Lesezeichnen abspeichern und zuerst dort suchen, dann die verschiedenen Informationen zu vergleichen und gegebenenfalls auch mit dem Umfeld oder mit Fachpersonen darüber sprechen.

Man versucht die digitale Gesundheitskompetenz auch über die Unterstützung mittels Applikationen oder Chatbots zu fördern. Auch in der Schule existieren zum Teil wertvolle Ansätze, welche Medienkompetenz mit Gesundheitskompetenz kombinieren. Der Lehrplan 21 zielt bei den sogenannten überfachlichen Kompetenzen auf die Förderung von Gesundheitskompetenz ab – kombiniert mit Medienkompetenz stärkt das sicherlich auch die digitale Gesundheitskompetenz.

Zusammenfassend können wir festhalten: Die gezielte Förderung der digitalen Gesundheitskompetenz wird in der Schweiz zunehmend als zentrale Public-Health-Aufgabe anerkannt. Es existieren bereits gewisse Aktivitäten auf Bundes- und Kantonsebene, aber eine umfassende, langfristige Gesamtstrategie fehlt.

Kann KI die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung fördern?

KI kann die Zugänglichkeit zu Gesundheitsinformationen verbessern, zum Beispiel die Informationen leichter verständlich formulieren, oder sie kann die Information bildnerisch darstellen. Zudem kann sie Information in andere Sprachen übersetzen. Auch können KI-Systeme individuelle Informationsbedürfnisse berücksichtigen: z. B. mit personalisierten Informationen bei chronisch Kranken, in der Pflegeberatung oder bei präventiven Empfehlungen.

Was sind die Risiken?

Es kann eben auch sein, dass KI falsche Dinge vertrauenswürdig rüberbringt, und die Bürgerinnen und Bürger täuscht. KI kann deshalb erheblich zur Generierung und Verbreitung von Miss- und Desinformationen beitragen. Und das schneller, überzeugender und personalisierter als je zuvor. Ein weiteres Risiko ist der Datenschutz: Wie sicher ist es, wenn ich meine Krankengeschichte hochlade? Was passiert mit den Daten? Riskant sind auch Filter-Blasen: Man erhält vorwiegend Informationen präsentiert, die einen entsprechen und die man präsentiert haben will. Kritische Gegenhypothesen oder Gegenfragen stellen sich kaum. Gerade wenn die Gesundheitskompetenz nicht so gut ausgeprägt ist, kann das gefährlich sein.

Die Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung ist sehr unterschiedlich. Hat KI nicht auch das Potential, diese Unterschiede auszugleichen?

Bezüglich Barrierefreiheit oder auch was Übersetzungen für fremdsprachige Bevölkerungsteile betrifft, kann KI durchaus helfen. Aber dann stellt sich die Frage: Wie ist die Qualität der Übersetzung gesichert? Wie überprüfe ich, ob es dann auch tatsächlich stimmt, was übersetzt wurde? Es bräuchte hier also Regulierungen und Massnahmen, die dies sicherstellen.

Auch bei den Chatbots stellt sich die Frage, wir gut diese in den unterschiedlichen Sprachen funktionieren. Was wir auch nicht wissen, ist, wie sehr Personen aus unterschiedlichen Kulturen solchen Chatbots vertrauen oder wie verbreitet KI in unterschiedlichen Kulturen ist. KI bietet Potential, aber solche Fragen müssen wir natürlich auch berücksichtigen.

Gerade im personalisierten Bereich besteht ein grosses Potential und auch ein Bedürfnis, so lassen sich leichter personalisierte Gespräche führen. Gewisse KI-Systeme werden für Gesundheitsfragen, gerade bei stigmatisierenden Themen, zunehmend als Erstanlaufstelle verwendet, wobei diese oft als empathischer als reale Fachpersonen eingestuft werden. Aber die Frage bleibt: Wie gehen wir sicher damit um? Wie stellen wir sicher, dass das wirklich auch stimmt, was vermittelt wird?

KI ist also nicht unbedingt das Mittel für mehr gesundheitliche Chancengerechtigkeit?

Wenn bestimmten Gruppen der Zugang zu diesen Technologien, den nötigen Geräten und den Kompetenzen im Umgang damit fehlt, kann das zu Problemen führen. Meiner Ansicht nach verschärft das bestehende Ungerechtigkeiten. Einmal abgesehen von Einschränkungen durch mangelnde Grundkompetenzen oder Sprachbarrieren, müssen die Menschen auch digital affin und kompetent sein. KI ist aus Sicht der Gesundheitskompetenz also ein ambivalentes Werkzeug und bietet sowohl Chancen als auch Risiken. Unsere Gesellschaft braucht deshalb dringend einen Dialog, was wir gerade bezüglich KI wie gestalten, regeln und regulieren möchten. Entscheidend wird sein, ob es uns als Gesellschaft gelingt, die Menschen zu befähigen, mit KI-generierten Informationen kritisch, souverän und verantwortungsvoll umzugehen.

Was möchten Sie Fachpersonen aus der Gesundheitsförderung und Prävention mitgeben?

Mit Checklisten und Empfehlungen erreichen wir oft vor allem diejenigen Menschen, die ohnehin schon eine höhere Gesundheitskompetenz haben. Darum denke ich, dass auf der Ebene der Systeme, Organisationen und Communities mehr gemacht werden sollte – gerade indem man die Menschen in solche Prozesse und Massnahmen einbindet. Auch bei evidenzbasierten Entwicklungen von Lösungen muss man die Bevölkerung partizipativ einbinden – ganz besonders die vulnerablen Gruppen. Das heisst, wir müssen unbedingt Fragen klären wie: Was sind ihre Bedürfnisse? Auf welchen Medien und Kanälen bewegen sie sich? Was braucht es, damit die Massnahmen auf ihre Lebenswelten abgestimmt sind? Wie ich vorher bereits erwähnt habe, finde ich gerade die systemische Ebene zentral: Es geht darum, Miss- und Desinformationen möglichst konsequent zu entfernen und stattdessen qualitativ hochwertige, korrekte und aktuelle Informationen gezielt zu fördern. Diese Informationen müssen leicht verständlich aufbereitet sein, sodass sie für alle zugänglich und nutzbar sind. Es wäre zudem sinnvoll, nicht nur viele kleine Einzelinitiativen zu starten, sondern die bestehenden und insbesondere zukünftige Massnahmen stärker zu koordinieren. So könnten wir auch besser überblicken, welche Initiativen bereits existiert, deren Wirkung evaluieren, erfolgreiche Ansätze gezielt skalieren, breit umsetzen und dabei Synergien und verschiedene Expertisen nutzen.

Ist KI bereits ein Thema bei den verschiedenen Akteuren, die sich so um Gesundheitskompetenz bemühen?

Es ist ein aufkommendes Thema. In der aktuell geplanten Erhebung der Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung wird das Thema beispielsweise partiell einfliessen. Um hier noch mehr herauszufinden, werden wir das in den drei deutschsprachigen Ländern noch weiter vertiefen und planen hierzu gerade eine spezifische Erhebung. Wir müssen ja zuerst einmal wissen und verstehen, wie Online-Plattformen und KI in Bezug auf den Umgang mit Gesundheitsinformationen und -angeboten genutzt werden und wieviel Vertrauen in diese Technologien besteht. Erst mit diesem Wissen können wir dann auch entsprechende Massnahmen entwickeln.

Was man sicher auch berücksichtigen muss, vor allem man an «Planetary Health» oder «One Health» denkt, ist der enorme Energieaufwand, der KI mit sich bringt. Das wirkt sich auch auf unseren Planeten und unsere Gesundheit aus. Das müsste bei der Nutzung solcher Technologien gerade auch im Zusammenhang mit der Gesundheit von uns allen ebenso mitgedacht werden – was die Komplexität natürlich wiederum erhöht.

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