Hochschule Luzern

Cystische Fibrose: Computerspiel erleichtert Atemtherapie

Mit dem Ein- und Ausatmen ein U-Boot steuern und für eine virtuelle Schatzsuche auf den Meeresgrund abtauchen – mit diesem Computerspiel fällt Kindern und Jugendlichen mit Cystischer Fibrose die Atemtherapie leichter. Ein Forschungsteam der HSLU hat es mitentwickelt.

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Nichtübertragbare Krankheiten (NCD)

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«Du machst die Übungen ja noch besser als sonst», ruft Thomas Schumacher begeistert aus. Gegenüber dem Physiotherapeuten sitzt Nicole Schüpbach. Auch ihre Mutter, die Nicole zum Termin begleitet hat, wirkt überrascht. Schumacher beobachtet die 13-Jährige genau, bis ihre langsamen Atemzüge schliesslich von einem Hustenanfall unterbrochen werden.

Zum Husten ist Nicole heute hier. Sie gehört zu den rund 1’000 Personen, die in der Schweiz von Cystischer Fibrose (CF) betroffen sind. Diese Stoffwechselkrankheit führt zu zähflüssigem Schleim in der Lunge und häufig auch zu Beschwerden im Verdauungstrakt. Zur Behandlung gehören tägliche Atemübungen. Diese aktivieren das zähflüssige Lungensekret, damit es abgehustet werden kann.

Gerade Kindern und Jugendlichen fehlt aber oft die Motivation, die Übungen zuhause sauber durchzuführen. Deshalb erarbeitete Schumacher, Spezialist für Kindertherapie, das Konzept eines unterstützenden Computerspiels – ein sogenanntes Serious Game (siehe Box). In Zusammenarbeit mit Tobias Kreienbühl, Informatik-Forscher an der Hochschule Luzern, entstand ein als Virtual-Reality-Game konzipiertes Übungsspiel.

Ein «Action-Spiel» wäre kontraproduktiv

Das Prinzip ist einfach: Die Spielenden befinden sich im Cockpit eines U-Boots, dort stellt man die wichtigsten Parameter für das Spiel ein. Sobald es los geht, bricht man zu einem Tauchgang durch die Unterwasserwelt auf. Das Ausführen der Atemübungen lässt den Spieler oder die Spielerin vorwärtskommen.

Damit das funktioniert, macht sich das Spiel das Pari PEP-System zunutze: Dieses Therapiegerät wird für die Übungen zur Reinigung der Atemwege verwendet. Die CF-Betroffenen pusten dazu so lange hinein, bis sich der Schleim in der Lunge löst. Ein am Gerät angeschlossener Sensor misst die nötigen Informationen und sendet sie drahtlos an das Spiel.

Ziel eines Tauchgangs ist es, eine Schatztruhe auf dem Meeresgrund zu erreichen. Am Ende erhalten die Spielenden Rückmeldung über ihre Leistung. Der Inhalt und die Storyline des Spiels sind dabei bewusst einfach gehalten. Denn: Eine zu aufregende Geschichte wäre kontraproduktiv. «Es wird sicher nie ein Action-Spiel werden», erläutert Entwickler Tobias Kreienbühl. «Steigt die Aufregung der Betroffenen, sinkt die Qualität der Atmung. Das Spiel soll die Übungen unterstützen, nicht behindern.»

Eintauchen ins virtuelle Meer

Während des Spiels trägt Nicole eine VR-Brille. Was von aussen nach ungelenken Bewegungen aussieht, ist für sie ein ganzheitliches Eintauchen in die Spielwelt. «Dank VR-Brille sind die Spielenden besser von äusseren Reizen abgeschnitten», sagt Kreienbühl. Damit sei der Fokus auf die Übungen stärker und die Ausführung verbessere sich.

Nicole taucht über den Meeresboden, derweil kontrolliert Thomas Schumacher die Bewegungen ihres Bauchs. Wird der Hustenreiz zu stark, zieht Nicole die VR-Brille aus. Die für das Abhusten verwendeten Taschentücher packt Schumacher sogleich in einen Plastiksack. «Die Konzentration von Krankheitserregern im Sekret ist um ein Vielfaches höher, als bei einer Person ohne CF», sagt er. Entsprechend ist Vorsicht bei der Entsorgung und am Ende der Übung gründliches Händewaschen angesagt.

Einsatz auch bei Asthma-Behandlung denkbar

Thomas Schumacher wird in der Entwicklung unterstützt durch seinen Bruder Kurt, der die Geschäftsleitung für das Projekt übernommen hat. Beide wissen, dass es erst in den Kinderschuhen steckt. Potenzial sehen sie in der von den Forschenden der HSLU extra für das Spiel programmierten Mess- und Feedbackstruktur, welche losgelöst vom Tauchgang-Szenario funktioniert. Als isolierte Software lässt sie sich für andere Spiele und Anwendungen nutzen. «Das Tauchspiel spricht Kinder und Jugendliche an, für Erwachsene braucht bräuchten wir eine andere Handlung», sagt Thomas Schumacher.

Dies werde vor allem auch dann wichtig, wenn das Spiel für die Behandlung weiterer Krankheiten adaptiert wird, wie Kurt Schumacher erläutert: «Das Spiel ist nicht spezifisch für CF-Betroffene konzipiert. Die gleichen Atemübungen werden auch bei Asthma oder der chronisch obstruktiven Lungenkrankheit COPD angewendet.» So zum Beispiel etwas für Seniorinnen und Senioren mit Atemproblemen: Da könne er sich durchaus vorstellen, dass der Messmechanismus bereits für sich genommen ohne Spiel eine grosse Hilfe darstellt. Damit weitet sich das Verwendungsspektrum des Spiels allein in der Schweiz von rund tausend auf hunderttausende Patientinnen und Patienten aus.

Dennoch mache es Sinn, sich zunächst auf Betroffene von Cystischer Fibrose zu konzentrieren, ergänzt Thomas Schumacher: «Die Schweizer CF-Betroffenen sind sehr gut vernetzt. So lassen sich Bedürfnisse unkompliziert abholen, erste Versionen testen und es hilft auch für das Fundraising.» Dass es finanzielle Mittel braucht für die Weitentwicklung des Systems, weiss auch Forscher Tobias Kreienbühl von der HSLU: «Schon mit wenig Geld lassen sich weitere wichtige Entwicklungen realisieren», sagt er, «beispielsweise neue Unterwasser-Regionen oder bessere Interaktionsmöglichkeiten.»

Für Abwechslung im Alltag sorgen

Für Nicole ist die Übung abgeschlossen. Sie ist zufrieden: «Mit dem Spiel machen die Übungen mehr Spass. Und es hilft, weil man immer genau weiss, was man machen muss.» Noch könnten die Details der Unterwasserwelt feiner ausgearbeitet sein. «Die Welt wäre zum Beispiel schöner mit mehr verschiedenen Fischen», meint sie. Forscher Tobias Kreienbühl stimmt zu, am Feinschliff will er noch arbeiten: «Die Routen wiederholen sich momentan zu oft. Da man das Spiel täglich wiederholt, braucht es da mehr Abwechslung.»

Nicole und ihre Mutter verabschieden sich. Die Jugendliche wird im Hip-Hop-Kurs im nahen Sursee erwartet. Nach einer knappen Stunde mit Atemübungen hinter einer VR-Brille freut sie sich auf den Feierabendsport – und auf ihre Freundinnen in der echten Welt.

Serious Games machen nicht nur Spass, sondern vermitteln auch Wissen oder haben einen therapeutischen Zweck. Die Forschungsgruppe Immersive Realities Research Lab der HSLU hat bereits mehrere solcher didaktischer Spiele umgesetzt:

Escape

Die Pädagogischen Hochschulen Schwyz und Luzern sowie die Hochschule Luzern entwickeln derzeit ein «Escape»-Spiel, welches die Informatikkenntnisse von Schülerinnen und Schülern fördert. Die Jugendlichen müssen gemeinsam in einem realen, präparierten Raum eine Mission erfüllen. Sie haben eine Stunde Zeit, dabei müssen sie multimediale Zusammenhänge erkennen und ihr Informatikwissen anwenden.

VR Bees

Das Immersive Realities Research Lab hat gemeinsam mit Ursina Kellerhals vom Departement Wirtschaft sowie BienenSchweiz, dem Imkerverband der deutschen und rätoromanischen Schweiz, ein Spiel zur Imkerei-Ausbildung entwickelt. Dank dem Virtual Reality-Game können angehende Imkerinnen und Imker praktische Szenarien digital durchspielen, ohne die sensiblen Bienenvölker zu belasten.

Sarnetz

Der Name «Sarnetz» lehnt an die Engadiner Gemeinde Zernez an. Zernez bildet das Zentrum des Spiels, das von Forschenden des Departements Technik & Architektur zusammen mit dem Team des Immersive Realities Research Lab entwickelt wurde. «Sarnetz» ist kompetitiv aufgebaut: Zwei Fünferteams treten gegeneinander an, der Wettkampf wird von einer neutralen Person moderiert. Das Ziel: Die gesamte Energieproduktion der Gemeinde soll nach den Vorgaben der Energiestrategie 2050 des Bundes umgebaut werden. Wer die CO2-Emissionen innerhalb des Zeitlimits auf null reduziert, den Strom möglichst regional produziert und die Investitionen minimal hält, gewinnt. Das Spiel wurde 2021 an der Weltausstellung in Dubai der Öffentlichkeit vorgestellt.

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